21. April 2021
Im Spätherbst 2021 wird am Ortseingang von Berchtesgaden der Kulturhof Stanggass seine Türen für Gäste und Einheimische öffnen. Es soll ein Ort der Begegnung werden, des Austauschs und des geselligen Miteinanders. Hier steht nicht nur der Mensch im Mittelpunkt, sondern auch die Natur. In beeindruckender Bergkulisse wird es neben einem Festsaal und dem Hotel einen Gasthof, Biergarten sowie einen Bewegungs- und Kreativbereich mit Yogastudio, Co-Working Space und Seminarräumlichkeiten geben. Für die Architektur dieses außergewöhnlichen Projekts wurde das Architekturbüro „Arc Architekten“ unter der Leitung von Manfred Brennecke und Stefan Kohlmeier beauftragt. Eine ganz besondere Herausforderung, denn wie verbindet man ein modern nachhaltiges Konzept mit einer traditionellen Bauweise? Worauf kommt es dabei an und was hat das ehemalige Hotel Geiger damit zu tun? Wir haben die beiden gefragt.
Auf dem Baugrundstück stand über lange Zeit das traditionsreiche Hotel Geiger, das früher ein Hotel der Luxusklasse war und eine der ersten Adressen in der Region.1997 musste es wegen Insolvenz schließen und stand 20 Jahre lang leer. Wenn ein derart bekanntes Grundstück so lange brachliegt, dann gibt es in der Bevölkerung ein zunehmendes Interesse daran, dass dieser Zustand wieder irgendwann beseitigt wird: Das Grundstück wird sozusagen zur öffentlichen Sache. Was wird jetzt aus diesem denkwürdigen Ort? Wird es ein Angebot jenseits von Eigeninteresse und Konsum geben? So stehen dann Themen zur Debatte, die normalerweise bei einem privaten Grundstück gar nicht wichtig sind, aber dann zu einer besonderen Herausforderung werden.
Nicht wirklich, denn zunächst ging es dem Bauherrn und uns darum, in welche Richtung sich das Grundstück in dieser einzigartigen Lage entwickeln lässt. Obwohl wir uns frühzeitig einig waren, dass der Name für ein Projekt durchaus wichtig ist, kam es erst spät zum Begriff „Kulturhof“. Für den Bauherrn stand die Idee eines Gasthofs mit Biergarten an erster Stelle, Festsaal und Übernachtungsmöglichkeiten kamen später hinzu und – das war wirklich außergewöhnlich – mit nicht mehr als etwa 30 oder 40 Zimmern. Hinsichtlich der „Tragfähigkeit“ des Grundstücks schien uns dieser Umfang eine ideale Voraussetzung, um die Besonderheiten des Ortes wirklich würdigen zu können.
Die Idee eines Gasthofs erinnerte uns an das Buch von Christopher Alexander »A Pattern Language«, ein konzeptionelles Kompendium für Architekten. Darin vergleicht er den Gasthof mit einer „Karawanserei“ – dem Urtyp eines Platzes, an dem Reisende ankommen und sich austauschen. Diesen Reisenden geht es nicht nur um das Übernachten oder das Essen, sondern vor allem um die Begegnung mit anderen Menschen, um Austausch und das Erzählen von Geschichten. Zudem wollte Herr Wimmer von Anfang an, dass der Ort auch der Region offen steht, also nicht den Urlaubsgästen allein, sondern auch der einheimischen Bevölkerung. Diese Öffnung hat dazu geführt, dass sich Menschen dafür interessiert haben, ihre Arbeitsstätte dorthin zu verlegen, wie zum Beispiel der Kulturphilosoph Jens Badura oder Frau Obermaier mit ihrem Yoga-Studio. Dieser Ansatz – weg vom rein touristischen Ressorthotel und hin zu einem Ort der Begegnung – hat uns unmittelbar begeistert! Gerade Tradition wird in der Region großgeschrieben: wie spiegelt diese sich in der Architektur des Kulturhofs wider? Ich denke, der Begriff „Tradition“ wird oft missverstanden oder als etwas Statisches gesehen in dem Sinne, althergebrachte Formen einfach zu kopieren, ohne sie zu hinterfragen und sozusagen „die Asche zu bewahren“. Bei der Architektur des Kulturhofs hat sich angeboten, die Typologie des in der Region bekannten „Paar- oder Zwiehofs“ mit zwei giebelständigen Häusern neu zu interpretieren. Bei dieser Bauweise, die sich speziell für Hanglagen eignet, wird der Bauernhof mit Wohn- und Stallteil auf zwei Gebäude verteilt und die „schauen“ quasi mit ihrem Giebel ins Tal. Das Grundstück bietet ja einen gigantischen Ausblick auf Watzmann, Hochkalter, Reiter Alm oder den Hohen Göll. Geneigte Dächer oder weitestgehend den Baustoff Holz zu verwenden sehen wir einfach als sinnvoll und nachhaltig an, aber natürlich kann man es auch traditionell nennen. In der speziellen Art der Anwendung liegt dann der Reiz für uns darin, die richtige Spannung, aber auch die passende Balance zwischen Tradition und Moderne zu finden.
Nun, das spielt sich auf mehreren Ebenen ab. Gemeinschaft entsteht nur durch Beziehung. Insofern wollten wir, dass gerade beidem insgesamt doch vielfältigen Raum- und Flächenprogramm kein „Monolith“entsteht, sondern eine eher kleinteilige Architektur, bestehend aus einzelnen Häusern, die in Bezug zueinander stehen und gleichzeitig der Vielfalt der inneren Abläufe und Funktionen besser gerecht werden können. Als Beispiel: Es gibt viele Hotels, die auch Seminarräume anbieten und die man bequem und trockenen Fußes innerhalb des Hauses aufsucht. Im „Kulturhof“ muss man bewusst aus dem Hotelbereich hinausgehen, um zum gegenüberliegenden Seminarhaus zu gelangen. So gibt es viele Zu- und Eingänge, die zusammen eine „Familie“ bilden: der Eingang zum Gasthof, zum Festsaal, Seminargebäude, der Zugang zum Glashaus, zum Yoga-Studio oder zur Sauna. Durch die Aufteilung in unterschiedliche Gebäude und die Wegbeziehungen dazwischen kommt es zu Begegnungen, die Wege kreuzen sich, es entstehen informelle Treffpunkte, ohne dass sie konkret definiert sind. Besonders wichtig war uns dabei eine leichte Orientierbarkeit zusammen mit der Ablesbarkeit der Bausteine. Ein Beispiel noch aus der Ebene der Einrichtung, die ja auch zur Architektur zählt: Bei der Diskussion um Gasthof und Restaurant waren wir uns schnell einig, dass es neben den üblichen 2-er oder 4-er Tischen auch eine lange Tafel mit Platz bis zu 25 Personen geben sollte. Das lädt ein, sich einfach dazu zu setzen, neue Menschen kennenlernen und sich austauschen, eine Einladung zur Gemeinschaft sozusagen.
Wichtig war uns, die besondere Kraft, die durch das Grundstück und seine Umgebung gegeben ist, auch für die Gebäude zu nutzen. Gleichzeitig sollten sich Ort und Gebäude gegenseitig „befruchten“, das heißt, der „Kulturhof“ sollte nicht stärker strahlen als die Umgebung, sondern sich harmonisch in die Landschaft integrieren. Eine besondere architektonische Herausforderung lag darin, die unmittelbar einsichtige Lage an der viel befahrenen Berchtesgadener Straße optimal zu nutzen. Das Hotel Geiger hatte sich zu damaliger Zeit ganz bewusst auf die Straße hinorientiert, auch ein Großteil der Zimmer waren dorthin ausgerichtet. Wie man aus den alten Postkarten ablesen kann, war das für die Repräsentanz des Hauses unverzichtbar und natürlich will man als Gastbetrieb auch heute von der Straße ausgesehen werden. So werden zukünftig der Festsaal und Biergarten von der Straße aus einsehbar sein, die Hotelzimmer aber sich seitwärts zur absolut ruhigen Südostseite orientieren:
Zuallererst haben wir in einer eigenen Machbarkeitsstudie geprüft, ob man Teile der alten historischen Anlage des Hotel Geiger trotz des baulich vernachlässigten Zustands weiter nutzen bzw. verwenden kann. Leider hat sich das aus verschiedensten Gründen nicht verwirklichen lassen – mit Ausnahme der Wiederverwendung einzelner Natursteinblöcke. Gerade im Zusammenhang mit der Baustoffwahl hat aber das Nachhaltigkeitsziel eine wichtige Rolle gespielt. Bei den Materialien, die im Erdreich verbaut wurden, wurde beispielsweise der Bauschutt vom Hotel Geiger geschreddert und als Recyclingmaterial verwendet. Oberhalb der erdberührten Bauteile, also ab der ersten Erdgeschoss-Decke werden Wände, Decken und Dach in Holzbauweise errichtet, die Dämmung in den Holzwänden besteht aus recyceltem Altpapier. Im Übrigen versuchen wir, Materialien so zu verwenden, dass sie später auch leicht getrennt werden können, das heißt, sie werden auch nicht verklebt.
Alles, was gebaut wird – ob Ort, Straße, Haus oder Möbel – hat eine Auswirkung auf die Menschen und deswegen möchte man das Ergebnis positiv beeinflussen. Ein Gebäude sollte einen nicht erschlagen, sondern auf all das eingehen, was auch im Leben wichtig ist, wie die Umgebung, die Natur, die Topografie, die Sonne, das Licht, die Nachbarschaft. Und wenn ein Gebäude vieles von dem widerspiegelt, leistet es auch etwas für die Gesellschaft.
Herr Brennecke:
Mir ist die Idee der Gemeinschaft, aber auch der Achtsamkeit gegenüber der Natur und Umwelt wichtig und dass gerade in Zeiten von Corona und sozialer Distanz Gemeinschaft sich nicht verliert. Es ist so unglaublich, was gerade auf der Welt passiert. Ich wünsche mir, dass in der Krise die Chance erkannt wird, dass offene Orte der Gemeinschaft in Zukunft wichtiger werden denn je, um gemeinsam die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.
Herr Kohlmeier:
Mir ist wichtig, dass es mehr ist als ein Bauprojekt, es hat eine gesellschaftliche Tragweite. Gleichzeitig thematisiert es auch, wie und mit welchen Materialien man bauen sollte. Das Projekt lädt alle ein, dort hinzukommen und teilzunehmen.